Osterspecial: Atze und Nadine – Auf der Veterama

Die Beschaffung von Ersatzteilen – insbesondere von seltenen Ersatzteilen – ist natürlich auch im Atze-und-Nadine-Universum stets ein Thema. Im MG Kurier 86 vom Januar 2006 wurde also über einen Ausflug zur Veterama nach Mannheim berichtet. Offensichtlich sehr anschaulich, denn der Autor wurde von zwei V8-affinen MG-Freunden auf der Techno Classica 2006 ziemlich bedrängt, er möge doch wenigstens eine – nur eine! – von den Übersetzungen verkaufen von seinem…

Kaufrausch

In vollem Drift kracht unser MG in der 180- Grad-Kehre in ein Schlagloch. Da kommt die nächste Serpentine… es wirft uns gnadenlos herum. Wieder ein Schlagloch, das Auto bricht diesmal unkontrollierbar aus, wir werden brutal durchgeschüttelt. Die Leitplanke kommt immer näher, immer näher, ein letztes kräftiges Rütteln geht durch das tapfere Fahrzeug. Ich verliere die Kontrolle, gleich werden wir in die Schlucht abstürzen, oh Gott, es gibt Tage, da geht alles schief…

„Aufwachen, Langschläfer!“ – Nadine zog erneut an meinem Schlafsack. Erinnerungsfetzen wurden mit mir wach… Warum war ich mit Nadine und ihrem Papa nach Mannheim gefahren, zur Herbst-Veterama? Und dann noch kurz entschlossen, wenn alle Hotels belegt sind? Was tat ich hier, in Mannheims Nachbarstadt Ludwigshafen („LU“), auf einem Campingplatz am Baggersee? Warum tropfte Regenwasser auf meinen Schlafsack? Zu viele Fragen auf einmal – um 6 Uhr morgens bewegt sich mein IQ ungefähr auf Höhe der Uhrzeit. Erst mal Kaffee gefasst, dann Zähneputzen gehen, dann anziehen… oh, falsche Reihenfolge, vor allem diese Sache mit dem Anziehen, aber erstens kannte mich hier in „LU“ keiner, und zweitens war ich offensichtlich nicht der Einzige mit diesem fatalen Logik-Problem frühmorgens.

2 Stunden später jedoch konnte ich bereits fehlerfrei Dinge aufsagen wie „Eine Tageskarte, bitte!“ und fand mich Sekunden später im Trubel der sagenumwobenen „Veterama Mannheim“ wieder. Heiliger Boden – der Geburtsort der Oldtimer-Szene, wie wir sie heute in Deutschland kennen. Von dem Kniefall hielt mich nur der durch Dauerregen aufgeweichte Boden ab. Und irgendwo im Hinterkopf pochte immer diese bohrende Frage: Was tat ich wirklich hier? Nadines Papa – okay, der fährt einen alten Mercedes und diesen noch älteren Passat mit Hängerkupplung. Der fände hier bestimmt etwas. Nadine hatte zwischenzeitlich ein Faible für Vorkriegs-Damenräder entwickelt und wollte sich hier mit irgendeinem NSU-, Wanderer- oder Sonstwas-Fahrrad eindecken. Aber ich? Wenn wenigstens Atze mit dabei gewesen wäre… der hätte mir bestimmt schnell zurufen können, welche Schraubenschlüssel-Maulweiten für die großen Muttern an der MGA- Hinterachse passen würden aus dem Haufen schwer gebrauchtem Grob-Schlosser-Werkzeug da vorne, pro Teil 3 Euro, 3 Teile für 10 Euro (und keiner merkte es…).

Aber ich – war allein. Ganz allein mittlerweile, denn Nadine und ihren Papa hatte ich bei einsetzendem Starkregen aus den Augen verloren.

Verloren hatte ich auch den Überblick. Es goss immer noch in Strömen. Ich stellte mich am hintersten Ende des Maimarktgeländes bei jemandem unter, der offensichtlich Ford Escort-Teile verhökerte. Hinter einem Gebirge von Getrieben machte ich den Standbesitzer aus. „Ford-Fan?“ fragte ich. „Ne, Escort- Erbe“, bekam ich zur Antwort. „Mein Onkel hat mir seinen Escort-Kram vermacht. Ich muss jetzt das Zeugs hier unter die Leute bringen. “ „Aha.“ Gedankenverloren wühlte ich in einer Kiste mit Teller-/Kegelradpaarungen, einfach so, ich war auf der Veterama, ich wollte endlich schmutzige Finger bekommen. Was sollten sonst die Leute von mir denken.

„Nen Zwanni das Paar. Alles Escort-Teile. Neu!“ tönte es kaufrauschfördernd von hinter der Theke. Wieder ein „Aha“ von mir. Jedes Päärchen war fein säuberlich mit Kabelschnellverbindern zusammengeschlossen. Der Onkel schien ein ordentlicher Mensch gewesen zu sein.

Plötzlich wird das Pochen im Hinterkopf stärker, drängender, fokussierter, da arbeitet sich etwas nach oben, ich spüre mein Gehirn wie einen gut gewärmten Muskel beim Joggen. Alles Escort-Teile? Welcher Escort zum Teufel hatte eine Teller-Kegelradpaarung in der Hinterachse mit 43/14 Zähnen? Da, noch ein Bündel. Und noch eins. Und noch eins! Das sind keine Escort-Salisbury-Hinterachsen-Innereien, das sind MGBGTV8-Hinterachs-Übersetzungen! Sozusagen die blaue Mauritius unter den MGB-Hinterachsübersetzungen! Zwanzig Euro ist aber eigentlich viel zu billig – wohl doch Ford, irgendwie? Mit heiserer Stimme frage ich: „Einen Escort hatte dein Onkel also?“ „Ja, und so einen ollen MGB. Nicht mal ein Cabrio. Aber englische Autos kann ich gar nicht leiden. Unzuverlässiges Zeugs, taugt nichts.“

Mein Mitleid schwindet. Ich finde meine Sprache wieder und sage: „Wenn ich 4 nehme, bekomme ich es für 60?“ Ooops.

Das war ein betriebswirtschaftlicher Reflex. In diesem Kontext könnte man es auch einen Fehler nennen. Ich fange an zu zittern.

„Gemacht!“ Gemacht? Er hat einfach „Gemacht!“ gesagt. Und mir diese Zahnradsätze in einen Beutel gepackt und in die Hand gedrückt. Ich kann es kaum fassen und stolpere durch den Matsch. Als Nadine und ihr Papa wieder auftauchen und anfangen, von ihren Erlebnissen zu berichten, bin ich immer noch sprachlos.

Nadines Papa versucht auf der Heimfahrt nochmals ein Gespräch mit mir. „Na ja, mit englischen Autos war es ja nicht so dolle. Ist halt Mannheim, nicht Beaulieu.“ Ich jedoch bin still, träume so vor mich hin. Ich könnte die Radsätze bei eBay versteigern, den Erlös anlegen und von den Zinsen leben. Ich könn- te… ach was: Ich genieße den Moment.

„Och Junge, jetzt sag mal was, schmoll doch nicht. Komm, ich heitere dich auf. Ich spendiere noch ein leckeres Steak im „Jägerhof“!“ So ist das Leben, Freunde. Es gibt Tage, da läuft es einfach.

Text und Bild: Andreas Pichler